Herbert Grönemeyer: „Wir singen wieder unsere Hymne” (Tanzen)
„Wir singen wieder unsere Hymne, unsere Lieder
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Art: Zitat aus Liedtext |
Thema: Bonmot |
Quelle: Auszug aus: „Tanzen“, Album „Sprünge (1986) |
Zum Künstler: Herbert Grönemeyer, geboren 1956 in Göttingen, ist einer der bedeutendsten deutschsprachigen Popmusiker der Gegenwart. Seine Musik zeichnet sich durch eine Mischung aus „typisch deutschen“ Anwandlungen, gesellschaftskritischem Engagement und poetischen Texten aus. Seit den 1980er-Jahren prägt er maßgeblich deutsche Popkultur. Das 1986 erschienene Album „Sprünge“ ist ein besonders gesellschaftskritisches Werk, vor allem auch mit Liedern wie „Tanzen“. Hierin übt er Kritik an Chauvinismus und Nationalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Neben seiner Musik engagiert sich Grönemeyer regelmäßig für Menschenrechte, Flüchtlingshilfe und demokratische Werte. Seine Texte sind oft unbequem, analytisch oder voll Mitgefühl für gesellschaftliche Außenseiter.
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Interpretation: Der Liedtext „Tanzen“ ist eine beißende Satire auf den aufkeimenden Nationalstolz und politische Arroganz im wirtschaftlich „erfolgreichen“ Westdeutschland der 1980er-Jahre. Grönemeyer stellt den vermeintlichen „Wiederaufstieg“ eines stolzen, fleißigen, nationalbewussten Deutschlands als Selbstzweck dar. „Wir tanzen, tanzen, tanzen der ganzen Welt vor“ ist ein ironischer Verweis auf Überheblichkeit und nationale Selbstinszenierungen, die – widersprechend zur Religionszugehörigkeit der christlichen Mehrheit in der Bevölkerung – blind seien für gefährliche Begleiterscheinungen, von Ausgrenzung, Überlegenheitsphantasien und Rassismus. Insbesondere bezieht sich dies auf einen Zynismus in der Gesellschaft, die sich christlich nennt, während sie Flüchtlinge abweist. Einer Gesellschaft, die sich auf Leistungsideale beruft und ihre Vergangenheit verdrängt. Die Zeile „Wir lieben sie, die Idiotie – Made in Germany“ fasst dies zusammen. Auch gegenüber der Natur sei man ignorant („wir atmen auf, es stirbt der Wald“).
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Im Kontext der Zeit: Mitte der 1980er Jahre zeichnete sich die Bundesrepublik unter Helmut Kohl durch eine konservative Umwälzung aus. Eine Politik, die Stabilität, nationales Bewusstsein und wirtschaftliches Wachstum förderte, setzte sich nach vielen Jahren linker Protestkultur und wirtschaftlicher Krisen ein. Auch der Begriff des Nationalstolzes wurde im Zuge dieser „geistig-moralischen Wende“ neu aufgeladen – und hier wurde er als Teil der Verdrängung historischer Verantwortung betrachtet. Grönemeyers Lied wurde in diesem politischen Kontext veröffentlicht und dient als Warnung gegenüber einem Rückfall in autoritäre Denk- und Ausgrenzungsmuster. „Tanzen“ stellt in einer Ära von Asylstreitigkeiten und dem Verlangen nach nationaler Identität die Frage. Dieser Kommentar zur politischen Kultur in Zeiten von Populismus und Identitätsrhetorik ist bis heute relevant.
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